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Der psychologische Test
Das psychologische Experiment

Stellung des Experiments innerhalb der Psychologie

Im Gegensatz zur Alltagspsychologie versucht die wissenschaftliche Psychologie, ihre Aussagen mit geeigneten Methoden daraufhin kritisch zu überprüfen, ob sie wahr oder falsch sind. Diese Überprüfung erfolgt systematisch und methodisch kontrolliert. Damit soll neben der Sammlung von Tatsachenwissen (beschreibend) auch die Erforschung von Gesetzmäßigkeiten mit dem Ziel der Erklärung und Vorhersage von Ereignissen betrieben werden.

Das Experiment ist daher ein wichtiges methodisches Hilfsmittel der Psychologie und wurde in größerem Umfang Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt und setzte sich mit der Blüte des Behaviorismus vorerst in der amerikanischen und später auch in der europäischen wissenschaftlichen Psychologie durch. Vor der Einführung des Experiments mußte man sich auf die persönlichen Erfahrungen einzelner Menschen stützen. Das Experiment erweitert diese "natürlichen" Einsichten durch "synthetische". Der Vorteil dabei ist, daß man sie planmäßig und unabhängig von der nur subjektiven Geltung erarbeiten kann. Nach Ernst Mach (1905) - der zahlreiche Arbeiten zur Grundlegung der Psychologie verfaßte - hat das Experiment den Zweck, die Wirklichkeit des Menschen zu erweitern, d.h. Phänomene zu erzeugen, die sonst nicht im Bereich der menschlichen Erfahrung auftreten. Es werden Erscheinungen für unsere Erfahrung hervorgerufen, die ohne das Instrument (oder ein dazu funktional äquivalentes) nicht in der Natur als dem Inbegriff der Erscheinungen vorkämen. Es handelt sich also um "absichtliche selbsttätige Erweiterung der Erfahrung".

Auch wenn bei der Definition des Experiments bisweilen unterschiedliche Akzente gesetzt werden, so besteht doch allgemein Einigkeit darin, daß die aktive Manipulation der Versuchsbedingungen durch den Experimentator und damit die Möglichkeit Ursache und Wirkung zu unterscheiden, das Wesentliche am Experiment ausmacht.

Das Experiment stellt die einzige Forschungsform dar, die es erlaubt Kausalbeziehungen zwischen Variablen zu überprüfen: Zwei oder mehr Variablen sind kausal verbunden, wenn sie in einem empirisch nicht umkehrbaren, asymmetrischen Zusammenhang stehen. X erzeugt Y, aber nicht umgekehrt. X ist dabei die unabhängige und Y die abhängige Variable.

Was ist ein Experiment?

Beim Experimentieren unterscheidet man unabhängige Variablen, die aktiv vom Experimentator verändert werden (und oft auch als Faktor bezeichnet werden) von den abhängigen Variablen, die letztlich vorhergesagt werden sollen. Störvariablen beeinflussen die abhängige Variable ebenfalls, sodaß deren Wirkung im Experiment entweder neutralisiert oder aktiv in die Untersuchung einbezogen (z.B. als zusätzliche unabhängige Variable) werden muß, da sie den Effekt der zu untersuchenden unabhängigen Variable stören würde. Eine Störvariable kontrollieren heißt, ihre Wirkung auszuschalten.

Ein Experiment ist durch folgende Bedingungen gekennzeichnet:

Darüber hinaus sind folgende eher formale Bedingungen - sie betreffen u.a. die Wissenschaftlichkeit eines Experiments - einzuhalten:

Noch weitgehend ungeklärt ist etwa das Problem der Versuchspersonenmotivation, d. h. die Auswirkung von Motivationen auf seiten der Versuchspersonen auf die Versuchsergebnisse. Diese wird nur in den seltensten Fällen überprüft. Relativ gut erforscht ist der "Versuchsleitereffekt", dessen Wirksamkeit in zahlreichen Experimenten nachgewiesen konnte, z.B. in Form des "Rosenthal-Effekts" (Siehe auch die Untersuchungen zum "Greenspoon-Effekt"). Er kann z.B. ausgeschaltet werden durch einen Doppelblindversuch, damit die Hypothesen des Versuchsleiters bzw. seine Annahmen über den Versuch nicht von der Versuchsperson unbewußt übernommen werden, beläßt man bei der Verteilung der Bedingungen (z.B. Medikament und wirkungsloses Präparat, "Placebo") auch ihn in Unkenntnis.

Der Doppelblindversuch (double-blind procedure/study) ist eigentlich ein in der pharmazeutischen Forschung übliches Forschungsdesign, bei dem zur Vermeidung von Erwartungseinflüssen weder die Probanden, noch der Versuchsleiter zum Zeitpunkt der Datenerhebung wissen, ob ein wirksames Präparat (Experimentalgruppe) oder ein Placebo (Kontrollgruppe) verabreicht wurde. Auf diese Weise sollen störende Erwartungseffekte auf Seiten des Versuchsleiters und auf Seiten der Versuchspersonen ausgeschaltet werden.

Bei der nicht-experimentellen Forschung finden nur Beobachtungen statt, ohne in das Geschehen einzugreifen (oft ist dies aus praktischen oder ethischen Gründen so). Nur durch Experimente läßt sich Kausalität untersuchen.

Wiederholung von Experimenten

Experimente zu wiederholen ist einer der Standards von Wissenschaft, was aber in der Psychologie in den vergangenen 100 Jahren nur in einem Prozent aller Forschungen geschieht. Allerdings gelangen die Wiederholungen von Untersuchungen immerhin tendenziell zu den gleichen Resultaten gelangen wie ihre Vorgänger (Makel et al., 2012). Wiederholungen von Experimenten und Untersuchungen können dabei helfen, mögliche Fehler in den Grundannahmen oder Arbeitshypothesen zu lokalisieren und zu korrigieren, was zwar für alle Disziplinen gilt, aber besonders für die Psychologie, deren Forschungsgebiet der methodisch besonders schwierig zu fassende Mensch ist. Häufig gelten Wiederholungsforscher als Handwerker, denen die Kreativität fehlt. Makel et al. (2012) durchsuchten die 100 wichtigsten Fachzeitschriften nach dem Begriff replicat* und errechneten für den Gesamtzeitraum seit 1900 eine Wiederholungsrate von 1,07 Prozent. Allerdings werden viele Untersuchungen nicht mit dem Prädikat Wiederholung gekennzeichnet, sondern als eigenständige neue Untersuchungen präsentiert.

Literatur
Makel, Matthew C., Plucker, Jonathan A., & Hegarty, Boyd (2012). Replications in Psychology Research. How Often Do They Really Occur? Perspectives on Psychological Science, 7, 537-542.

Phasen eines Experiments

Die Durchführung von Experimenten läßt sich in mehrere Stufen untergliedern, die nacheinander durchlaufen werden:

  1. Fragestellung, die im Laufe der Untersuchung weiter präzisiert wird.
  2. Sachliche Hypothesen, die auf bisherigen Forschungsergebnissen, theoretischen Überlegungen oder empirischen Beobachtungen aufbauen.
  3. Operationalisierung, also Zuordnung von Begriffen der Hypothese zu beobachtbaren Phänomenen: Man sucht einen empirisch beobachtbaren Indikator für die Begriffe. Dazu gehört auch die Auswahl einer leicht realisierbaren Situation, in der die Versuchspersonen bisher noch keine Erfahrungen sammeln konnten. Die Information, die mithilfe einer Operationalisierung gewonnen wird, wird als Datum bezeichnet. Die Güte der Operationalisierung wird oft auch Konstruktvalidität bezeichnet. Die theoretischen Begriffe einer Hypothese können mehr oder weniger direkt operationalisiert werden, so wie Variablen mehr oder weniger beobachtungsnah sind.

Bei der Planung von Experimenten verfolgt der Experimentator eine Strategie, die man als MAX-KON-MIN-Regel charakterisieren kann:

Bei der experimentellen Forschung ist die Planungsphase die eigentlich entscheidende Phase. Durchführung und Auswertung sind dann weitgehend festgelegt. Die Planung des Experimentes erfordert, daß der Experimentator zunächst eine Versuchssituation findet, in der die unabhängige Variable manipulierbar ist, und für die abhängige Variable ein geeignetes Meßinstrument gefunden werden kann. Wenn eine geeignete Versuchsanordung gefunden ist, muß als nächstes der Versuchsplan im engeren Sinn (Versuchsgruppen-Plan) festgelegt werden: Dabei wird entschieden, welche experimentellen Bedingungen einbezogen werden, d.h. welche unabhängigen Variablen in wieviel Stufen variiert werden, und wie die Versuchspersonen den experimentellen Bedingungen zugeordnet werden.

Grenzen des Experiments 

Das Experiment gilt als Grundmethode der auf das physikalischen Vorbild ausgerichteten Psychologie. Analog zur Physik wird eine feste kausale Beziehung zwischen Meßwert und Erscheinung angenommen und vorausgesetzt. Dem gegenüber betonen Kritiker, daß psychische Erscheinungen eine grundsätzliche Inhaltsmehrdeutigkeit (Ambiguität) aufweisen, die man mit der Experimentalanordnung kategorial verfehlen kann. Das Experiment in der Psychologie ist daher in der epistemologischen Diskussion nach wie vor umstritten. Folgende zentrale Fehlerquellen können bei der experimentellen Forschung häufig beobachtet werden:

Bei bestimmten Fragestellungen verbieten sich Experimente manchmal aus Gründen der Ethik oder der Moral; z.B. kann man experimentell nicht nachprüfen, wie sich die Prügelstrafe auf kleine Kinder auswirkt. Hier bleibt die Psychologie auf die Beobachtung angewiesen, die durch Kontrolle zusätzliche Genauigkeit gewinnen kann (z.B. durch Erfassung möglichst aller beteiligten Einflüsse, Tonbandaufzeichnungen usw.).

In einem frühen Verhaltensexperiment (Watsons "Little Albert", Bild) wurde ein Kleinkind immer durch Geräusche erschreckt, wenn es eine zahme Ratte sah. Dadurch konnte eine vorher nicht vorhandene Rattenphobie ausgelöst werden (Watson, John B. & Rayner, Rosalie (1920). Conditioned emotional reaction. WWW: http://psychclassics.yorku.ca/Watson/emotion.htm)

Viele Kritiker sahen darin die Überschreitung ethischer Grenzen. Man kann und darf nicht alles experimentell untersuchen, was sich nur planen läßt. Vgl. hierzu auch Günter Sämmers entlarvende Analyse Der Kleine Albert" - Ein fragwürdiges "klassisches Musterbeispiel" und sein Mythos.

Ethische Probleme treten sowohl bei der Anwendung des Wissens als auch bei der Forschung auf. Der Problemkreis der Forschungsziele betrifft auch die Relevanz von Forschungsprojekten. Der Versuchsleiter trägt eine besondere Verantwortung gegenüber den Versuchspersonen, die sich insbesondere aus der Undurchschaubarkeit der experimentellen Situation ergibt. Folgende ethischen Probleme können auftreten:

Oft lassen sich derartige ethische Probleme beseitigen, indem man die Untersuchung entsprechend abändert. In jedem Fall sollte die Versuchsperson über alle möglichen negativen Aspekte informiert werden und dann entscheiden können, ob sie am Experiment teilnehmen will; sie sollte aber auch jederzeit die Untersuchung abbrechen dürfen. Nach dem Experiment sollte eine Aufklärung über dessen Ziele stattfinden. Die negativen Aspekte des Versuches sollten durch positive Aspekte aufgehoben werden (finanzielle oder andere Belohnung). Durch Kosten-Nutzen-Rechnung sollte entschieden werden, ob die Verletzung von ethischen Prinzipien durch den möglichen Wissenszuwachs gerechtfertigt ist. Ein kritisches Experiment in diesem Zusammenhang ist die berühmte Milgram-Studie zum Gehorsam gegenüber Autoritäten.

Es soll hier auf die entsprechenden Abschnitte der "Ethischen Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e. V. und des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V." (Fassung vom 29.09.1998, http://www.dgps.de/gesellschaft/mitteilungen/ethikrichtlinien.html) hingewiesen werden. Ein empfehlenswertes Buch von Philippe Georges Patry (2002) beschäftigt sich ausführlich mit solchen ethischen Grundfragen: Lassen sich psychologische Experimente mit Menschen überhaupt in einer Weise durchführen, daß die Würde der Probanden respektiert wird? Können ProbandInnen ihr Recht auf Selbstbestimmung, Wohlergehen und Gerechtigkeit ausdrücken und wahrzunehm? Werden die Versuchspersonen vom passiv erleidenden Untersuchungsgegenstand zum aktiven Helfer des Versuchsleiters im Forschungsprozesses? Es sollen Versuchsleiter und Versuchspersonen für ethische Probleme und Dilemmata sensibilisiert werden und es werden spezifische Aspekte des psychologischen Experiments wie informierte Zustimmung, Schutz der Privatsphäre, Schutzmaßnahmen für Versuchspersonen, Risiko-Erwägungen, gerechte Auswahl der Versuchspersonen, gerechte Risikoverteilung, Täuschung und Aufklärung sowie Experimente an Kindern und anderen abhängigen Personen besprochen. Diese Fragen stehen in enger Verbindung zur philosophischen Ethik und methodischen Aspekten psychologischer Forschung.

[Quelle: Stangl 1997a]
[Bildquelle: http://muskingum.edu/~psychology/psycweb/history/watsonalbert.gif]

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