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Das hierarchische Faktorenmodell der Englischen Schule

(SPEARMAN, BURT und VERNON)

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Der psychologische Test
Das psychologische Experiment

Das hierarchische Faktorenmodell der Englischen Schule basiert auf der Zwei-Faktoren-Theorie der Intelligenz von SPEARMAN (1904, 1927), geht jedoch in der heutigen Fassung über diese hinaus. Autoren wie BURT (1949 a,b) und VERNON (1950) haben versucht die Zwei-Faktoren-Theorie von SPEARMAN mit multifaktoriellen Konzepten zu vereinigen.

Aufgrund seiner Forschungsarbeiten stellte SPEARMAN (1904) die Behauptung auf, dass jedes Maß für Intelligenz auf zwei Faktoren beruht. Ein erster eher allgemeiner Faktor "g" repräsentiert eine Art "general intelligence". Diesem g-Faktor wird eine Beteiligung an allen Intelligenzleistungen zugesprochen. Er könnte für so etwas wie eine zentrale mentale Energie stehen. Diese "general intelligence" wird von SPEARMANN (1904) ergänzt durch eine "specific intelligence". Hierbei handelt es sich um eine unbestimmte Zahl spezifischer oder s-Faktoren. Sie repräsentieren die jeweilige Besonderheit spezieller Leistungen. In faktorenanalytischen Begriffen ausgedrückt, müssten alle Testaufgaben oder Intelligenztests miteinander korrelieren und diese Korrelationen müssten alle mit Hilfe eines Faktors erklärbar sein. Das unterschiedliche Ausmaß der Korrelationen charakterisiert dann die unterschiedlichen Beziehungen des Tests zum g-Faktor und würde auf die unterschiedlichen s-Faktoren zurückgeführt, die natürlich untereinander nicht korrelieren. Aufgrund dieser Vorstellung müsste es möglich sein verschiedene Intelligenztests, entsprechend ihrer höheren bzw. niedrigeren g-Anteile oder g-Ladungen, in eine hierarchische Ordnung zu bringen.

Diese einfache und äußerst plausible Theorie wurde bekannt wie keine andere und bildete die Grundlage für die Konstruktion vieler Testverfahren. Sie liegt immer dann einer Testentwicklung zugrunde, wenn der Test aus einer Reihe unterschiedlicher Aufgaben oder Aufgabengruppen besteht, die getrennt bewertet, aber zusätzlich auch noch zu einem Gesamt-IQ zusammengefasst werden. Dieser Gesamt-IQ ist der Ausdruck für das vermutete Vorhandensein eines gemeinsamen g-Faktors. Als ein bekanntes Beispiel für ein solches Verfahren kann der Hamburg-Wechsler Intelligenztest für Kinder (HAWIK-R) angeführt werden.

Nicht zu übersehen war jedoch die Tatsache, dass innerhalb der s-Faktoren ebenfalls noch Überlappungsbereiche existieren. Nach Abzug der auf das Konto des gemeinsamen g-Faktors gehenden Varianzen blieben immer noch weitere gemeinsame Varianzanteile übrig, die auf weitere gemeinsame Faktoren hinwiesen. BURT (1949 a,b) und VERNON (1950) postulierten deshalb neben dem g-Faktor und den s-Faktoren sogenannte Gruppenfaktoren und konstruierten daraus ein hierarchisches Intelligenzmodell. Auf der untersten Ebene befinden sich in diesem System die "specific factors" (s-Faktoren), die nur einen Test oder eine einzige Aufgabengruppe kennzeichnen. Übergeordnete Zusammenhänge zwischen einer kleineren Gruppe von Tests werden "Minor group factors" erklärt, deren Überlappungsbereiche wiederum auf "major group factors" zurückgeführt werden. Die Verbindung aller Faktoren auf der Ebene höchster Allgemeinheit stellt weiterhin der "general factor" (g-Faktor) dar.

Hierarchisches Intelligenzmodell der Englischen Schule (Vernon, 1950)

Abb. 2 Hierarchisches Intelligenzmodell der Englischen Schule


In Abb. 2 ist das hierarchische Intelligenzmodell von VERNON (1950) dargestellt. Die allgemeine Intelligenz (g-Faktor) gliedert sich hier in zwei Gruppenfaktoren (major group factors) die als v:ed (verbal-educational) und k:m (spatial and motor abilities) bezeichnet werden. Durch die obige schematische Darstellung darf man sich allerdings nicht dazu verleiten lassen, die einzelnen Ebenen als völlig voneinander getrennt zu sehen. Vielmehr nehmen BURT (1949 a,b) und VERNON fließende Übergänge oder gar Überschneidungen zwischen den einzelnen Ebenen an. Es liegt hier also eher ein dynamisches Modell vor, "das eine flexible Anpassung an die empirisch-operational (faktorenanalytisch) gewonnenen Befunde erlaubt" (HELLER 1976, 13). Das hier skizzierte hierarchische Intelligenzmodell könnte betrachtet werden als ein Kompromiss zwischen SPEARMANs Zwei-Faktorentheorie und dem nachfolgend beschriebenen Modell mehrerer gemeinsamer Faktoren von THURSTONE (1938, 1945).

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