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Das neuropsychologische Konzept
(KAUFMAN/KAUFMAN)

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Der psychologische Test
Das psychologische Experiment

Ein Verfahren zur Messung von Intelligenz, bei dessen Konstruktion sehr stark neuropsychologische Erkenntnisse berücksichtigt wurden, stellt die "Kaufman-Assessment Battery for children" (K-ABC) dar. Die K-ABC misst Intelligenz, die definiert wird "als die Art und Weise, in der ein Individuum Probleme löst und Informationen verarbeitet. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Vorgehensweise, d.h. der Gewandtheit bei der Informationsverarbeitung" (MELCHERS/PREUSS 1994, S.7). Diese Definition basiert auf Erkenntnissen der kognitiven Psychologie und der Neuropsychologie. Eine Fülle von Forschungsergebnissen aus diesen beiden wissenschaftlichen Disziplinen haben auf eine Dichotomie zwischen zwei grundlegenden Arten der Informationsverarbeitung verwiesen (DAS/KIRBY/JARMAN 1975, 1979, KINSBOURNE 1978, LURIA 1966, NEISSER 1967). Diese beiden mentalen Funktionsarten werden häufig als einzelheitliches und ganzheitliches Denken bezeichnet. Beim einzelheitlichen Denken liegt der Schwerpunkt auf der einzelheitlichen Ordnung (Serialität) von Reizen beim Problemlösen wobei die ganzheitliche Vorgehensweise eine gestalthafte und räumliche Integration der Reize beim Lösen von Problemen erfordert.

  1. einzelheitliches Denken
    Aufgaben in der Messskala der K-ABC für einzelheitliches Denken stellen die Probanden vor Probleme, die in erster Linie durch folgerichtiges oder serielles Denken gelöst werden müssen. Das bedeutet, dass jeder Aspekt in direkter sachlicher oder zeitlicher Beziehung zum vorhergehenden steht. Im Rahmen solcher Aufgabenstellungen müssen die Probanden zum Beispiel Zahlenreihen nachsprechen oder eine geordnete Serie von Handbewegungen nachahmen, die der Versuchsleiter ihnen vorgemacht hat.
    Die Fähigkeit, Informationen einzelheitlich und folgerichtig zu verarbeiten, steht nach MELCHERS und PREUSS (1994) in enger Beziehung zu vielen alltäglichen Anforderungen:
    • Lernen grammatikalischer Beziehungen und Regeln,
    • Verstehen historischer Ereignisse in ihrem chronologischen Ablauf,
    • Schrittweises Anwenden mathematischer Prinzipien,
    • Verständnis für Spielregeln
    • Verstehen und Befolgen mündlicher Anweisungen von Eltern und Lehrkräften.

  2. ganzheitliches Denken
    Die Probleme in den Aufgabenstellungen der Skala ganzheitlichen Denkens sind räumlich-gestalthafter Art und verlangen Analogieschlüsse oder die Organisation der Reize. Die vorgegebenen Informationen müssen beim Lösen des Problems gleichzeitig integriert und zusammengefügt werden und können nicht nacheinander bearbeitet werden. Bei Aufgabenstellungen, die ganzheitliches Denken erfordern, müssen sich die Probanden an die räumliche Anordnung von Reizen erinnern, in einer unvollständigen Zeichnung dargestellte Objekte erkennen oder ein abstraktes Muster aus einer Reihe gleicher Dreiecke zusammenfügen.
    Kinder mit gut entwickelten ganzheitlichen Problemlösungsfähigkeiten haben nach MELCHERS und PREUSS (1994) beispielsweise deutliche Vorteile beim:
    • Lernen von Formen (Buchstaben, Zahlen, Wörter),
    • Erfassen des Bedeutungsgehaltes von Bildern oder anderen optischen Reizen,
    • Entwickeln von Strategien, um die Leitgedanken einer Geschichte zu erfassen,
    • Verstehen grundlegender arithmetischer Konzepte durch Veranschaulichung anhand konkreter Materialien,
    • effektiven Benutzen von Diagrammen und Verlaufskurven sowie beim kreativen Problemlösen.


Ausgehend von der Theorie LURIA's und der zerebralen Spezialisationstheorie läßt sich der typisch neuropsychologische Aspekt dieser Vorstellung von Intelligenz, nämlich die Beziehung dieser Verarbeitungsdichotomie zu bestimmten Hirnarealen, aufzeigen. Es existiert eine beeindruckende Vielzahl von Studien mit "split-brain" (Patienten mit durchgetrenntem corpus callosum, wodurch beide Gehirnhälften weitgehend unabhängig voneinander arbeiten) oder einseitig hirngeschädigten Patienten, die einen unterschiedlichen Verarbeitungsstil beider Gehirnhälften bestätigen. Die Aufteilung, daß von der linken Hemisphäre verbale und von der rechten visuell-räumliche also nonverbale Aufgaben bevorzugt bearbeitet werden, wurde als unzureichend erkannt. Auf Grund neuerer Untersuchungen assoziiert man mit der linken Hemisphäre einen eher analytisch-einzelheitlichen und mit der rechten einen ganzheitlich-räumlichen Verarbeitungsstil (BOGEN 1969, HAMMOND 1982, RATCLIFF 1979, SPRINGER/DEUTSCH 1981). Die Ergebnisse dieser neuro-psychologischen Studien stimmen mit den Ergebnissen aus entsprechenden kognitionspsychologischen Experimenten überein (COHEN 1973, KLATZKY/ATKINSON 1971).


Skalen der K-ABC
Abb. 7: Skalen der K-ABC


Gleichzeitig wird von vielen Autoren darauf hingewiesen, daß die Erkenntnisse aus Studien an hirngeschädigten Patienten nicht ohne weiteres auf gesunde Menschen übertragbar sind. Nach MELCHERS und PREUSS (1994) kann die Beziehung zwischen den Verarbeitungsstilen einzelheitlich und ganzheitlich einerseits und den Hemisphären des Gehirns andererseits als gut gestützte jedoch nicht verifizierte Annahme bestehen bleiben.

Die Skala der intellektuellen Fähigkeiten, bestehend aus der Skala einzelheitlichen Denkens und der Skala ganzheitlichen Denkens, wird in den K-ABC als zusammenfassendes Maß der Gesamtintelligenz verstanden. Neben den Skalen zu intellektuellen Fähigkeiten existiert in den K-ABC noch eine Fertigkeitenskala. Sie umfasst Aufgaben, die auch in älteren Tests zur allgemeinen oder sprachlichen Intelligenz zu finden sind (Lesen, Rechnen, allgemeines Wissen, Wortschatz). Die Fertigkeitenskala erfasst eine Art Faktenwissen, das sich Kinder in der Regel aus ihrer kulturellen und schulischen Umgebung aneignen. Problemlösen wird hier somit als Intelligenz interpretiert, Faktenwissen dagegen als Ausdruck erfolgten Lernens. "Dies bedeutet einen entscheidenden Unterschied gegenüber anderen Intelligenztests, bei denen gelerntes Wissen und angewandte Fertigkeiten den erzielten IQ häufig in großem Umfang beeinflussen" (MELCHERS/PREUSS 1994, S.8).