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Der psychologische Test
Das psychologische Experiment
Das jüngste und wohl auch umfassendste faktorenanalytische Modell der Intelligenz stammt von JÄGER (1973, 1984).
Zunächst überprüfte JÄGER (1973) in umfangreichen Analysen einzelne Elemente aus den Strukturmodellen von THURSTONE und GUILFORD. Dazu wurden von ihm 419 Schüler der 12. und 13. Klasse des Gymnasiums an zwei Unterrichtstagen mit über 250 Einzeltests untersucht. Mit Hilfe der sich anschließenden zahlreichen Faktorenanalysen gelang ihm die Abgrenzung von sechs Hauptdimensionen oder Hauptfaktorengruppen der Intelligenz:
Relevante Testaufgaben für diesen am breitesten fundierten Faktor finden sich zum Beispiel im Hamburg-Wechsler Intelligenztest für Kinder - Revision (HAWIK-R). Im Mosaik-Subtest müssen dort bildhaft vorgegebene Muster mit mehrfarbigen Klötzen nachgelegt werden. Der Subtest "Bilder ordnen" verlangt, daß einzelne Bilder in eine logische Reihenfolge gebracht werden. Beim Subtest "Bilder ergänzen" müssen im vorgelegten Bildmaterial fehlende wesentliche Details erkannt werden. Eine dem Mosaik-Subtest ähnliche Aufgabenstellung findet sich in der Nichtverbalen Intelligenzreihe von Snijeders-Oomen (SON). Entsprechende Aufgaben enthalten auch der Intelligenz-Strukturtest (IST) von AMTHAUER oder das Leistungsprüfsystem (LPS) nach HORN. Figuren- oder Zahlenmatritzen sind zu ergänzen oder in den Matrizen versteckte logische Felder sind zu finden. Der Progressive Matritzentest nach Raven ist mit seiner Aufgabenstellung hier sicher ebenfalls einschlägig.
Zu diesem ebenfalls breit fundierten zweiten Faktor existieren in den gängigen Intelligenzverfahren überraschenderweise kaum Aufgabenstellungen. Im sogenannten Konsequenztest müssen beispielsweise möglichst vielseitige Folgerungen aus unerwarteten Situationen gezogen werden. Die Probanden werden unter anderem gefragt, welche Folgen es hätte, wenn plötzlich aus allen Wasserleitungen der Stadt Salzwasser flösse.
Dieser zweite Faktor zeigt auffallende Ähnlichkeit zum "Fluency-Faktor" THURSTONEs und vor allem zu GUILFORDs "Divergent Production".
Dieser dritte Faktor zeigt sich vor allem bei einfach strukturierten, leichten Routineaufgaben. Angespannte Konzentration und rasche Auffassung sind gefordert. Gute Leistungen erbringen hier Probanden, die Stress verkraften, wenig störbar sind und die im schnellen Erledigen von Aufgaben einen besonderen Reiz sehen. Einschlägig sind Aufgabenstellungen, wie sie sich im Zahlensymboltest des HAWIK-R oder im Subtest 1 des Grundintelligenztests (CFT 1) nach Cattell finden. Zahlen oder Bilder müssen möglichst schnell mit bestimmten Symbolen versehen werden. Natürlich gehören hierher auch die gängigen Konzentrations-Messverfahren.
Testitems, die schlussfolgerndes Denken, Wort- oder Figurenanalogien aber auch mechanisch-technisches Verständnis fordern sowie eingekleidete Rechenaufgaben laden auf diesem Faktor. Der Subtest "Rechnerisches Denken" im HAWIK-R, der Subtest aus dem K-ABC oder Subtest 4 und 5 des CFT 1 bestehen aus solchen Aufgabenstellungen.
Der hier beschriebene Faktor zeigt gute Übereinstimmung zum "Reasoning-Gruppenfaktor" von THURSTONE und zu GUILDFORDs Faktorenklassen "Cognition" und "Evaluation".
Die auf diesem Faktor ladenden Testaufgaben sind recht heterogen. Ihr einziges gemeinsames Merkmal ist die Gebundenheit des Materials an Zahlen.
Faktorenanalysen erbrachten hohe Affinitäten dieses fünften Faktors zu THURSTONEs Faktor "Number" und zu GUILDFORDs Faktor "Divergent Production".
Die Identifizierung dieses Faktors wird dadurch erschwert, dass die Lösung sprachgebundener Aufgaben immer mehrere Faktoren zugleich beansprucht. Das durchgehende Kennzeichnen des Aufgabenmaterials ist hier nun sein verbaler Charakter. Zu nennen wären hier zum Beispiel die Subtests des Verbalteils im HAWIK-R.
Hervorzuheben ist, dass dieser sechste Faktor keinem der von THURSTONE und GUILDFORD analysierten Faktoren entspricht.
Dieser erste Entwurf eines Intelligenzmodells wurde von JÄGER (1984) durch stringente und methodische Forschungen zum "Berliner Modell" weiterentwickelt. Dieses "Berliner Modell" vereinigt Elemente aus den Faktorentheorien von SPEARMAN, THURSTONE und GUILFORD und berücksichtigt allgemeine Erkenntnisse der Intelligenzforschung.
Zu Beginn seiner eigenen weiteren Erhebungen und Analysen katalogisierte JÄGER (1984) zunächst alle vorfindbaren Aufgabengruppen aus dem Bereich der Intelligenz- und Kreativitätsmessung. Auf diese Weise kamen etwa 2000 Aufgabenstellungen zusammen. Diese Items wurden zu 191 Aufgabenblöcken reduziert, die 98 verschiedene Aufgabentypen enthielten. 545 Abiturienten im Alter von 16 bis 21 Jahren bearbeiteten an drei Tagen diese 191 Leistungsvariablen. Das Lösen der Aufgaben nahm ca. 15 Stunden in Anspruch.
Abb. 6: Modell der Intelligenz nach JÄGER (1984)
Die Analysen des Gesamtsatzes aller Daten ergab vier "hochgradig generelle Leistungsklassen, die durch ihre operative Eigenart gekennzeichnet sind, nämlich: Einfallsreichtum, Verarbeitungskapazität, Gedächtnis und Bearbeitungs-geschwindigkeit" (JÄGER 1984). Die in zahlreichen anderen Untersuchungen immer wieder gefundenen inhaltlichen Kategorien für sprach-, zahlen- und anschauungsgebundenes Denken fehlten jedoch. Durch geschickte Bündelungen der Variablen traten in den Analysen schließlich idealtypisch rein die Faktoren für Operations- und Inhaltsklassen zu Tage und führten zu JÄGERs Modell der Intelligenz wie es in Abb. 6 dargestellt ist.